Laufental, Kantonswechsel

Weiterführung des Kampfes
Für den weiterhin bernischen Bezirk Laufen trat 1984 das sog. Sonderstatut in Kraft, das besondere Mitwirkungsrechte des Laufentals in der Berner Kantonspolitik ermöglichte. Doch das Probaselbieter Lager gab sich damit nicht zufrieden: Am 11. Mai 1984 wurde die Laufentaler Bewegung LB gegründet. Sie beabsichtigte, die politische Integration des Laufentals in der Nordwestschweiz trotz verlorener Abstimmung weiter voranzutreiben. Diese Bewegung pflegte einen volksnaheren Stil als die Vorgängerorganisation «Ja zur besten Lösung». Durch ihr Organ dr Laufetaler entfaltete sie eine beachtliche Propagandawirkung. Doch das Probaselbieter Lager erhielt durch den folgenden Skandal erst recht Aufwind.




Die Finanzaffäre


(S.a. Hauptartikel: Berner Finanzaffäre)
Am 22. August 1984 reichte der Berner Finanzrevisor Rudolf Hafner beim Grossen Rat eine Aufsichtsbeschwerde gegen den Berner Regierungsrat ein. Die daraufhin eingesetzte Besondere Untersuchungskommission BUK berichtete am 31. August 1985, dass die ABL während des Abstimmungskampfes in den Jahren 1980-1984 heimlich insgesamt CHF 273'281.- Unterstützungsgelder aus dem Berner Lotteriefonds erhalten hatte, nebst CHF 60'000.- , die schon kurz vor der Abstimmung bekannt geworden waren. Die Gelder waren ohne gesetzliche Grundlage oder öffentliche Bekanntmachung geflossen, zudem vor dem Hintergrund einer von Berner Regierungsrat Werner Martignoni mitunterzeichneten Vereinbarung mit dem Kanton Basel-Landschaft, worin sich die beiden Kantone verpflichteten, keine Einflussnahme auf die Selbstbestimmung des Laufentals auszuüben (Absichtserklärung der Regierungsräte Bern und Basel-Landschaft vom 22./23. Juni 1982). Diese Enthüllungen führten zu Protestdemonstrationen sowie zu Forderungen nach einer Wiederholung der Abstimmung und nach dem Rücktritt von Werner Martignoni.


Am 3. September 1985 reichten fünf Laufentaler Stimmbürger eine Abstimmungsbeschwerde beim Grossen Rat in Bern ein. Sie wurde am 18. November 1985 abgewiesen, mit der Begründung, dass die Frist für Beschwerdeneingaben bereits abgelaufen war. Allerdings waren die Geldzahlungen bei Ablauf der Frist noch nicht bekannt gewesen. Die Eingabe des Bezirksrats zu einer vertieften Untersuchung und die verschiedenen Vorstösse seitens einzelner Ratsmitglieder zeitigten vorerst ebenfalls keine Wirkung.


 


Urteile des Bundesgerichts
Die LB focht die Abweisung mit einer staatsrechtlichen Beschwerde beim Bundesgericht an, die am 18. März 1987 gutgeheissen wurde. Der Grosse Rat musste nun nach einem Wiedererwägungsgesuch auf die Beschwerde eintreten. In der Urteilsbegründung bezeichneten die Bundesrichter die Einflussnahme des Kantons Bern auf die Stimmberechtigten als erheblich.
Am 3. November 1987 lehnte die bürgerliche Mehrheit des Grossen Rates die Beschwerde auf Antrag des Regierungsrates und der Justizkommission ab und löste damit bei den Probaselbietern im Laufental Empörung aus.
Die LB gelangte daraufhin mit einer erneuten staatsrechtlichen Beschwerde ans Bundesgericht und machte geltend, der Kanton Bern habe widerrechtlich Einfluss auf die Meinungsbildung im Laufental genommen. Mit sechs zu einer Stimme hiess das Bundesgericht die Beschwerde am 20. Dezember 1988 gut und verfügte, dass die Abstimmung vom 11. September 1983 wiederholt werden musste.




Die zweite Laufental-Abstimmung vom 12. November 1989


Der Urteilsspruch des Bundesgerichts eröffnete sogleich einen neuen Abstimmungskampf, der bald schon vergleichbare Ausmasse mit der heftigen Debatte von 1983 annahm. Beiden Lagern gelang es, bei Kampagnenveranstaltungen grosse Massen zu mobilisieren und sie nahmen zunehmend den Charakter von Volksbewegungen an. Das Probaselbieter Lager wollte auf keinen Fall wieder zu leise treten und die Berntreuen gaben dem in nichts nach. Viele Bewohner/innen des Laufentals gaben ihrer Einstellung durch das Hissen der jeweiligen Kantonswappen-Flagge im Hausgarten Ausdruck.
Auf behördlicher Ebene wurde am 12. Mai 1989 ein Ergänzungsvertrag zum Aufnahmevertrag verabschiedet, unterzeichnet von zwei kantonalen Delegationen und dem Bezirksrat Laufental. Darin wurde bestimmt, dass der Kanton Basel-Landschaft alle bis zum Übertrittsdatum eingegangenen Verpflichtungen des Kantons Bern gegenüber dem Laufental übernehmen sollte. Am selben Tag wurde das Datum für die Wiederholung der Abstimmung auf den 12. November 1983 festgelegt. Eine staatsrechtliche Prüfung ergab, dass die Abstimmung von 1983 im Kanton Basel-Landschaft nicht vom Urteil des Bundesgerichts betroffen gewesen war und deshalb auch nicht wiederholt werden musste.
Die zweite Laufental-Abstimmung am 12. November 1989 über die Frage: "Wollt Ihr Euch aufgrund des vereinbarten Vertrages dem Kanton Basel-Landschaft anschliessen?" fiel  zugunsten eines Kantonswechsels aus (mit 51.7% Ja-Stimmenanteil). Dabei hatte die Stadt Laufen sich für Bern entschieden, wenn auch knapper als 1983. Insgesamt stimmten acht der 13 Gemeinden für den Kantonswechsel, darunter vier, die gegenüber 1983 die Seite gewechselt hatten (Burg i. L., Duggingen, Liesberg, Röschenz). Die Stimmbeteiligung lag mit 93,6% sogar noch höher als beim ersten Mal.

Erneute Beschwerdeführung
Die ABL kündigte bereits tags darauf am 13. November 1989 eine Beschwerde gegen das knappe  Abstimmungsresultat an und forderte eine Überprüfung des Stimmregisters und der Wahlausweise mit der Begründung, das Stimmvolk sei auf unzulässige Weise beeinflusst worden. Dabei spielte vor allem das Versprechen einiger Laufentaler Gewerbetreibenden eine Rolle, die ihren Mitarbeiter/innen bei einem Ja-Ergebnis einen arbeitsfreien Abstimmungsmontag versprochen hatten.
Unterdessen formierten sich die beiden gegnerischen Blöcke als «Vereinigung Berntreuer Laufentaler VBL» und im Koordinationsausschuss «Laufental 91» des Probaselbieter Lagers neu.
Bei den Berner Behörden gingen fristgemäss zwei Beschwerden und ein Gesuch um Nachzählung ein. Das Resultat der Nachkontrolle wurde am 1. Dezember 1989 bekanntgegeben: Es gab keine Unregelmässigkeiten.
Am 5. Februar 1990 annullierte der Berner Grosse Rat mit 102:78 Stimmen die zweite Laufental-Abstimmung, indem er die Beschwerden entgegen der Anträge von Kantonsregierung und Justizkommission guthiess.


Daraufhin wurde erneut das Bundesgericht eingeschaltet, das diesen Grossratsentscheid als nicht stichhaltig abwies und die Vorinstanz anwies, die Abstimmung für gültig zu erklären.
Am 22. September 1991 fand im Kanton Basel-Landschaft die Abstimmung über die Anpassungsbestimmungen des Laufentalvertrags statt. Die Vorlage wurde nach heftig geführtem Abstimmungskampf mit fast 60% Ja-Stimmen angenommen. Die anschliessenden Beschwerden wegen Unregelmässigkeiten wurden vom Basellandschaftlichen Verwaltungsgericht und auch vom Bundesgericht (Urteil vom 11. November 1992) als unbegründet abgewiesen.

Der Kantonswechsel wird vollzogen
Die Regierungen der beiden Kantone nahmen nun unter Anhörung des Bezirksrats Verhandlungen für den administrativen Übergang des Amtsbezirks Laufen auf und erstellten ensprechende Rahmenvereinbarungen.
Am 27. Januar 1993 veröffentlichte der Bundesrat seine Laufental-Botschaft mit den beiden Vorlagen «Bundesbeschluss über den Anschluss des bernischen Amtsbezirks Laufen an den Kanton Basel-Landschaft» und «Bundesbeschluss über die Gewährleistung der geänderten Verfassung des Kantons-Basel Landschaft». Darin wurde eine eidgenössische Volksabstimmung über den Kantonswechsel verlangt. Die beiden Räte stimmten mit 26:0, bzw. 31:0 Stimmen (Ständerat) und 124:23, bzw. 125:8 Stimmen (Nationalrat) den beiden Vorlagen zu.
Am 26. September 1993 stimmte das Schweizer Volk dem Bundesbeschluss über den Anschluss des bernischen Amtsbezirks Laufen an den Kanton Basel-Landschaft mit 75,2% Ja-Stimmen zu. Die Stimmbeteiligung betrug 39%.
Am 1. Januar 1994 wurde das Laufental zum 5. Bezirk des Kantons Basel-Landschaft, neben Arlesheim, Liestal, Sissach und Waldenburg.
Der Kantonswechsel wurde in den folgenden zehn Jahren von einer eigens dafür geschaffenen Rechtspflegekommission begleitet, welche verschiedentlich aufkommende rechtliche Fragen bei Umsetzung des Kantonswechsels klärte. Die weitere Eingliederung des neuen Bezirks erfolgte ohne grössere Probleme.

Kiki Lutz, 29/09/2010
Letzte Aktualisierung: 3/12/2015

Archivbestände

Staatsarchiv BL, PA 6198 Laufentaler Bewegung, PA 62 Laufentaler Komitee "Jo zum Baselbiet", PA 6120 Baselbieter Laufentalkomitee, VR 3003 Bezirksrat Laufental

Bibliografie

Martin Brodbeck, «Vom Skandal zum guten Ende? Die Geschichte des Selbstbestimmungsverfahrens des Bezirks Laufen 1989 bis 1993», in Andreas Cueni (Hg.), Lehrblätz Laufental, Zürich 1993, S. 47-60


Heinz Buser et al., Beschlüsse, Bilanzen, Bilder. Dokumente zum Kantonswechsel des Laufentals 1970-2003, Liestal 2004


Andreas Cueni, «Entscheid um 0,2 Prozent Schweiz, in Andreas Cueni (Hg.), Lehrblätz Laufental, Zürich 1993, S. 5-8


Anna C. Fridrich, «Laufen (BL, Bezirk)», in Historisches Lexikon der Schweiz [Online-Version], Stand vom 23.08.2010


Werner A. Gallusser, «Das Laufental als Heimat der Bevölkerung und regionale Wirklichkeit», in Andreas Cueni (Hg.), Lehrblätz Laufental, Zürich 1993, S. 11-28
Christian Jecker, «Vom Musterfall zum Skandal. Die Geschichte des Selbstbestimmungsverfahrens des Bezirks Laufen 1970 bis 1988», in Andreas Cueni (Hg.), Lehrblätz Laufental, Zürich 1993, S. 31-45
Beat Junker, Der Kantonswechsel des Laufentals, in Historischer Verein des Kantons Bern (Hg.), Geschichte des Kantons Bern seit 1798. Bd. III Tradition und Aufbruch 1881-1995, 2008. [Online-Version: http://www.hvbe.ch/geschichte.html], Stand vom 23.08.2010
Paul Richli, Aufnahme des Laufentals in den Kanton Basel-Landschaft. Der Beitrag der Rechtspflegekommission und ihres Präsidenten, Liestal 2003